Was Kundenorientierung heute bedeutet
Wer Kunden gewinnen will, muss das Kauferlebnis in den Mittelpunkt stellen. Doch viele Anbieter sind davon Meilen entfernt. Schade, denn eine Obsession für Kundenbelange ist heutzutage elementar. Und das bedeutet: erst der Kunde, dann die interne Effizienz. Firmen, die das erkennen, fahren auf der Überholspur.
Viele Anbieter glauben zutiefst, kundenzentriert zu agieren. Doch fragt man deren Kunden, sieht das ganz anders aus. In einer kürzlichen Studie von Cap Gemini bezeichnen sich 75 Prozent der befragten Unternehmen als kundenorientiert, dem stimmen jedoch nur 30 Prozent der Kunden zu. Solche Selbstüberschätzung muss man zügig kurieren.
Denn allein der Kunde entscheidet über Wohl und Wehe am Markt. Doch die meisten Anbieter agieren binnenfokussiert und effizienzgetrieben, anstatt Kundenbelange an die erste Stelle zu rücken. Sie optimieren ihre Prozesse vor allem für sich selbst - und nicht für den Kunden. Der soll sich gefälligst in die intern festgelegten Abläufe fügen und die vorgedachten Formulare ausfüllen.
Aus dem Blickwinkel des Kunden betrachtet
Wer vom Kunden her denkt, wird gewinnen. Customer-Experience-Experten haben das längst verstanden. Sie gestalten Customer-Journeys, also die Kaufreisen der Kunden durch die Unternehmenslandschaft, aus dem Blickwinkel des Kunden betrachtet.
Im Gegensatz zu selbstgestrickten Servicelevels, die oft auch aus falsch interpretierten Kundenbedürfnissen entstehen, denkt man im Customer-Journey-Management so:
- • Wie wünscht sich der Kunde unsere Prozesse, damit alles für ihn so einfach und nützlich wie möglich ist? Und so:
- • Wie können wir sicherstellen, dass seine Erfahrungen mit uns an allen Kontaktpunkten positiv sind? Und so:
- • Wie können wir die Lebensqualität unserer Kunden verbessern respektive ihren geschäftlichen Erfolg vergrößern?
Es ist allein die Meinung des Kunden, die dabei zählt. Erst, wenn aus dessen Sicht alles reibungslos klappt, wird dies mit Wiederkommen und Weitersagen belohnt.
Und wie sieht die Wirklichkeit aus?
Dass die Konsumenten hierzulande schlechten Service nicht deutlicher boykottieren, macht mich manchmal ganz fassungslos. Denn ja, das Klagelied ist reichlich bekannt, doch es ändert sich nichts: unfreundliche Bedienungen, forsche Kundensupport-„Spezialisten“, unmotivierte Servicekräfte, ahnungslose Verkäufer und schlecht ausgebildete Rezeptionisten gibt es an allen Ecken und Enden.
Erst kürzlich hat das die Mitarbeiterin eines kleinen Landhotels wieder gezeigt. Das Problem: Ihr lag beim Check-in eine falsche Buchung vor. Statt lösungsorientiert zu handeln, wies die Dame vehement die Schuld von sich. Erregt und hilflos erklärte sie lang und breit, wie die Buchung eigentlich hätte aussehen müssen.
So was frustriert, zumal wenn man von einer langen Reise müde nur noch ins Bett will. Und es interessiert wirklich kein bisschen, warum etwas nicht funktioniert. Das hält nur auf und bringt Frust. Was zählt, ist das Ergebnis, in dem Fall das Zimmer. Gerade kleinere Dienstleister könnten ihre Nähe zum Kunden viel besser nutzen, um Erlebnisse zu schaffen, die den Kunden begeistern. Doch dieses Potenzial verschenken viele.
Gezwungen, unfreundlich zu handeln
Unternehmen, die in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen verstehen, dass nicht nur die funktionierenden Abläufe, sondern auch die dabei ausgelösten Gefühle beim Kunden eine wichtige Rolle spielen. Passt etwas nicht, ist der nächste Anbieter oft in Sekunden gefunden und umgehend gebucht. Der Kunde ist weg, doch was bleibt, ist die schlechte Bewertung auf Meinungsportalen und im Social Web.
Nicht selten werden Mitarbeiter, die eigentlich gerne serviceorientiert wären, geradewegs von ihrer Firma gezwungen, kunden-un-freundlich zu handeln. So hab ich mir kürzlich am Bahnhof einen frisch gemachten Smoothie gegönnt. Für fünf Euro fünfzig, kein Pappenstiel. „Bitte keine Eiswürfel“, sag ich zu der jungen Dame, eine Studentin, als die mit dem Füllen des Bechers beginnt.
„Wir sind angewiesen, da immer Eiswürfel reinzutun“, war ihre Antwort. „Aber wieso“, sag ich, „hier steht doch genau, was alles reinkommt: Mango, Papaya, Karotten, Orangen, Bananen und Ingwer. Von Eiswürfeln steht da nix.“ „Okay, dann mach ich bei dir mal 'ne Ausnahme, aber verrat mich bloß nicht.“ Sie wird übrigens auch gezwungen, alle Kunden zu duzen, egal, ob denen das passt oder nicht.
Die Verluste aus schlechtem Service
Eine von Accenture durchgeführte Umfrage hat herausgefunden, dass binnen eines Jahres 51 Prozent der Kunden ihren Anbieter aufgrund von schlechten Erfahrungen mit dem Kundendienst wechseln. Jedes Unternehmen könnte, sollte und müsste die Verluste, die sich hieraus ergeben, intern kalkulieren.
Viele Anbieter scheinen allerdings nur das zu rechnen, was sie kurzfristig durch Einsparungen im Service gewinnen, nicht aber das, was sie mittel- und langfristig hierdurch verlieren. Eine erfolgskritische Frage muss daher lauten:
- • Wie viel Budget und wie viele Kosten setzen wir für Reibungsverluste, für Mitarbeiterfrust, für Kundenverärgerung, für servicebedingte Reklamationen und Umsatzrückgänge, für Mitarbeiter- beziehungsweise Kundenverluste und Rufschädigung ganz konkret an?
Werte wie Vertrauen und Reputation müssen in Kapital umgerechnet werden, und der Gegenwert von Mundpropaganda und Weiterempfehlungen muss in die Bilanz.
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
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Zukunftsfähig mit den Digital Natives
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