Modernes Recruiting: Wie man Top-Kandidaten gewinnt
Die Jagd nach den besten Talenten führt in vielen Branchen zu einem gewaltigen Arbeitgeber-Attraktivitätswettbewerb. Manche Anbieter werden allein deshalb vom Markt verschwinden, weil sie keine qualifizierten Young Professionals mehr finden, die für sie tätig sein wollen.
Moderne Unternehmen setzen sich mit jedem einzelnen Interaktionspunkt einer Candidate Journey, also der Reise eines Kandidaten durch den Bewerbungsprozess, intensiv auseinander und versuchen, das, was dort passiert, für den Bewerber so ansprechend wie möglich zu machen, damit sie die erste Garde für sich gewinnen.
Vor allem die besten Young Professionals können sich aussuchen, bei wem sie sich auf ein Kennenlernen einlassen. Bei der Entscheidungsfindung lassen sie sich auch von ihresgleichen leiten. Aus diesem Grund müssen die Arbeitgeber genau dort präsent sein und positiv in Erscheinung treten, wo die jungen Talente suchen.
Deshalb ist es sowohl logisch als auch zwangsläufig ein Muss, die junge Generation beratend und coachend einzubinden, wenn es um das Gestalten moderner Recruiting-Prozesse und die Auswahl neuer Kollegen geht. Unglaublich viel wird nur deshalb so schlecht oder falsch gemacht, weil das Feedback der jungen Generation fehlt.
Fallstricke auf dem Weg zum perfekten Top-Kandidaten
Bewerber sind Kunden, und so sollten sie auch behandelt werden. Denn die „Macht“ hat sich von der Anbieter- auf die Nachfrageseite verlagert. Das bedeutet konkret: Heute bewerben sich die Arbeitgeber bei den aussichtsreichsten Kandidaten. Eine Standardfrage im Einstellungsgespräch klang früher wie folgt:
- • „Was wissen Sie über unsere Firma? Und weshalb sollten wir Sie einstellen wollen?“
Jetzt drehen die Spitzenbewerber den Spieß einfach um, und zwar so:
- • „Ich habe mich über die Reputation Ihres Managements und das Betriebsklima in Ihrem Unternehmen informiert, nun bitte zeigen Sie mir, weshalb ich bei Ihnen arbeiten soll!“
Wobei, ganz klar: Am Ende sollte es Überheblichkeit weder auf der einen noch auf der anderen Seite geben.
Der Unterschied zwischen Mentoring und Coaching
Mentoring unterscheidet sich von der klassischen Unternehmensberatung und auch vom professionellen Coaching wie folgt: Bei der klassischen Unternehmensberatung werden betriebliche Lösungen von externen Anbietern als Dienstleistung zugekauft und implementiert.
Demgegenüber wird beim Coaching die Entwicklung eigener Lösungen favorisiert. Hilfe zur Selbsthilfe nennt man das auch. Dies geschieht in aller Regel durch strukturierte Gespräche zwischen einem Coach und einem Coachee. Dabei fungiert der Coach als neutraler, kritischer Dialogpartner.
Inhaltlich geht es meist um die Entwicklung persönlicher Kompetenzen und/oder Karriereperspektiven, um Anregungen zur Selbstreflexion und/oder um die Überwindung von Konflikten mit Mitarbeitern, Kollegen und/oder Vorgesetzten.
Sind Sie prozessbesessen oder bewerberorientiert?
Vom Verwalter zum Verkäufer, das ist der Weg des Personalers der Zukunft. Er muss bewerberorientiert agieren, um die Top-Talente anzulocken. Doch dies ist noch lange nicht überall angekommen. So schwelgt man weiterhin in standardisierten Prozessen, die für das Unternehmen zwar praktisch, für die Kandidaten jedoch ätzend sind.
Selbst die vielversprechendsten Leute kommen sich oft wie Bittsteller vor und müssen sich in die vorgedachten Abläufe fügen. Den Bürokratievogel abgeschossen hat ein Unternehmen mit einem zehnseitigen (!) Bewerbungsformular. Toptalente hassen das. In solchen Fällen ist Fachkräfte- und Nachwuchsmangel kein Branchenproblem, sondern selbstverschuldet.
Das Problem heißt: Unverständnis für die Belange der jeweiligen Bewerber-Zielgruppe. Da Arbeit und Freizeit immer mehr miteinander verschmelzen, ist Eigenzeit ein knappes Gut, mit dem man haushalten muss. Wer einem die Zeit stiehlt, weil alles so langwierig und altmodisch ist, fällt schon durch den Rost, bevor es überhaupt zu einem ersten Kennenlernen kommt.
Altbackene Anwerbe-Aktionen locken niemanden mehr
Ein weiterer Hemmschuh lauert in einer ganz anderen Ecke. Es ist das „von sich auf andere schließen“. Man geht von seinem Eigengeschmack aus. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass auf diesem Weg neue Bewerber kommen“, sagt der schon leicht ergraute Abteilungsleiter. Und ganz ohne Gegenwehr wird eine womöglich durchschlagend neue Maßnahme einfach gestrichen.
Das „Machtwort“ der Oberen und ihre verkrusteten Ansichten führen oft in die falsche Richtung. „Also, mir würde eine klassische Stellenanzeige besser gefallen“, sagt der Chef, weil es seinem Ego schmeichelt, in der Samstagsausgabe einer überregionalen Tageszeitung zu sein. Weil aber das Wort des Chefs Evangelium ist und niemand es sich mit ihm verscherzen will, wird wider besseres Wissens seine (teure!) Wunschanzeige geschaltet.
Doch Stellenanzeigen, die noch genauso aussehen wie vor fünfzig Jahren, der Einheitsbrei vergleichbarer Texte, das floskelhafte Geschwafel und die Bilderdatenbankmenschen in den HR-Broschüren locken bald niemanden mehr. Pfiffige Botschaften und eine kreative Mediennutzung sind vielmehr gefragt.
Zwei Beispiele für pfiffige Anwerbe-Maßnahmen
Als Siemens zum Beispiel vor einiger Zeit Signaltechniker suchte, blieben alle Anzeigen erfolglos. Erst als die Recruiter überlegten, wofür sich mögliche Kandidaten privat interessierten, ergab sich die Lösung: Sie inserierten auf einem Blog über die Modelleisenbahnen von Märklin. Kurz darauf war die Stelle besetzt.
Eine Schweizer Security-Firma suchte Mitarbeiter mit ähnlichen Qualifikationen wie das Personal an den Flughafen-Sicherheitskontrollen. Also haben sie ihren Geschäftsreisenden Metallplatten fürs Handgepäck mitgegeben, in die Sprüche eingeprägt waren wie: „Gelangweilt? Bewerben Sie sich bei uns“. Diese wurden beim Durchleuchten sichtbar. Und die Aktion war von Erfolg gekrönt.
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