Wie Sie auch heutzutage loyale Kunden gewinnen und halten
Das Customer-Touchpoint-Management
Die Wechselbereitschaft der Kunden ist so hoch wie nie. Das neue Phänomen heißt: der flüchtende Kunde. Immer schneller dreht sich das Karussell aus Kunden akquirieren, Kunden loyalisieren, Kunden verlieren. Dabei sind es vor allem die Stammkunden, die über das Schicksal eines Anbieters entscheiden. Umso wichtiger ist es nun zu verstehen, wie Loyalität funktioniert. Vier Loyalitäten sind zu entwickeln.
Kennen Sie den Werbespot der US-amerikanischen Ally Bank? „Kann ich ein Eis haben?", fragt da ein wartendes Kind. „Nein", sagt der Eiskrem-Verkäufer, "mein Eis ist nur für neue Kunden." Und nur das jetzt herbeihüpfende Kind bekommt dann auch tatsächlich ein dickes Schokoeis. Im wahren Leben ist es nicht selten genauso: Neue Kunden bekommen bei vielen Anbietern die tollsten Goodies, bestehende treue Kunden hingegen bekommen – nichts. Da kann ich mich nur kopfschüttelnd wundern.
Denn eines ist doch wohl ganz klar: Stabile, dauerhafte Kundenbeziehungen sind die Lebensversicherung eines Unternehmens. Paradoxerweise zieht sich die Vernachlässigung der Bestandskunden als "Zweite-Klasse-Kunden" wie auch die parallel verlaufende Vernachlässigung ihrer Betreuer als "Zweite-Klasse-Verkaufsmitarbeiter" wie ein roter Faden durch die Managementdenke der letzten Jahrzehnte. Dumm, aber wahr: Nicht Hege und Pflege, sondern Eroberungen stehen am höchsten im Kurs und werden am meisten gefeiert. Erinnert uns das nicht auch an Privates? Wie sagt die Braut beim Hochzeitsfest: „Heute ist mein schönster Tag." Das heißt: Von da an geht's bergab.
Zur Untreue erzogen
Kaum ist die Tinte trocken, hat das heiße Werben ein Ende. Nun soll sich der neue Kunde in die vorgedachten Abläufe fügen. Nehmen wir nur mal Sachversicherungen. Was hört man nach der Unterschrift? Nur noch Negatives: Rechnung, Mahnung, Beitragserhöhung, Erstattungsprobleme im Schadensfall. Oder denken wir an die Einstiegstarife der Strom-, Zeitschriftenabo-, Mobilfunk- und Kabel-TV-Anbieter. Neukunden werden preislich bevorzugt. Sie bekommen Schnupperpreise, fette Prämien, kostenlose Testangebote. So werden der Konkurrenz die Kunden abgekauft. Manager sehen dabei anscheinend nur das, was sie gewinnen, nicht aber das, was sie verlieren. Milchmädchenrechnung nennt man so was.
Denn solches Vorgehen ist nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Während man nämlich vorne fleißig mit Baggern beschäftigt ist, laufen einem hinten die eigenen Kunden weg. Die haben inzwischen bemerkt: Treue zahlt sich nicht aus. „Was ist drin, wenn ich kündige, und wie hole ich am meisten dabei raus?" Das ist heutzutage eine gängige Frage an die Web-Community. Wir alle haben gelernt: Wenn wir den Quengelfaktor erhöhen, gibt's Gutes. Die Anbieter selbst haben uns Kunden zur Untreue erzogen und zu Schnäppchen-Nomaden gemacht.
Doch niemand ist von Haus aus illoyal. Ganz im Gegenteil: Wir Menschen sind soziale Wesen – und wollen in eine Gemeinschaften eingebunden sein. Und zu Gemeinschaften gehört immer auch Loyalität. So bevorzugen wir das, was wir schon kennen, den, dem wir vertrauen, und diejenigen, bei denen unsere Erfahrungen positiv sind. Und: Wir wollen niemals enttäuscht werden. Deshalb fällt die Entscheidung, ob wir wechseln oder nicht, immer erst nach einer Unterschrift. Doch da wartet – leider – die B-Mannschaft.
Die B-Mannschaft
Zweiklassengesellschaft herrscht nicht nur beim Kundenstatus, sondern auch zwischen Innen- und Außendienst. Die Kundenjäger (= Hunter) sind die Helden vom Dienst. Sie werden hofiert, bestens trainiert und fürstlich entlohnt. Die internen Kundenbetreuer (= Farmer) werden hingegen ins Back(!)office verfrachtet. Oder wir finden sie eingepfercht in den "Hühnerställen" großer Callcenter wieder, wo Frust und Mitarbeiterfluktuation hoch, Bezahlung und Anerkennung hingegen niedrig sind. Und genau so kommt das dann beim Kunden an: Bestandskundenpfleger sind die B-Mannschaft, die zweite Wahl.
Erzielte Verkaufsabschlüsse werden unternehmensseitig oft wie ein Endpunkt betrachtet, aus Sicht des Kunden aber sind sie ein Start: Der Beginn einer hoffentlich langen, wunderbaren "Freundschaft", über die er oft und gerne spricht. Wenn das die Unternehmen nur endlich auch so sähen: Kundenloyalität wird im After-Sales-Service gemacht. Melkkühe und treudoofe Goldesel, die sich still und brav mit dem Zweitbesten begnügen, die sterben langsam aus. Wer als Anbieter nicht spurt, dem kehrt man den Rücken. Und im Web erzählt man der ganzen Welt, warum das so ist.
Loyale Kunden – ein wertvoller Schatz
Das größte Vermögen, das ein Unternehmen besitzt, ist die Loyalität seiner Kunden. Je länger es einen rentablen Kunden hält, desto mehr Gewinn kann es durch ihn erzielen. Oberstes Ziel sollte es daher sein, möglichst keinen einzigen Kunden zu verlieren, den man behalten will. Natürlich ist auch das Neugeschäft wichtig, aber nur dann, wenn man es nicht auf Kosten seiner Bestandskunden macht. Der Aufbau einer nachhaltigen Kundentreue ist somit eine der vorrangigsten unternehmerischen Herausforderung der Zukunft.
Doch Loyalität ist heute ein flüchtiges Gut. Man muss sie sich – genau wie seinen guten Ruf – immer wieder neu verdienen. Wer einen hohen Nutzwert bietet und eine außergewöhnlich attraktive Leistung erbringt, wer tiefes Vertrauen aufbaut, weil er seine Kunden gut und fair behandelt, wer sie immer wieder neu begeistert und stets in ihrer Wahl bestätigt, der bekommt Loyalität geschenkt – Loyalität jenseits der Vernunft.
Denn Loyalität ist immer auch ein wenig irrational. So ganz genau kann man oft gar nicht erklären, was an einem Anbieter so überaus anziehend ist. Weil sie eine emotionale Resonanz erzeugt, ist Loyalität so rätselhaft unergründlich. Am ehesten vergleichbar ist sie mit der Liebe: Es muss funken zwischen Anbieter und Kunde. Problemlösungen sind dabei das Pflichtprogramm. Das Erzeugen guter Gefühle ist die Kür. Wir bleiben einer Marke treu verbunden und empfehlen sie vehement weiter, solange sie uns gute Gefühle beschert.
Vier Loyalitäten schaffen
Im Marketing sprechen wir üblicherweise von drei Loyalitäten, die zu entwickeln sind:
- die zum Unternehmen und seinen Standorten
- die zu seinen Angeboten, Services und Marken
- die zu seinen Mitarbeitern und Ansprechpartnern
Wenn ich zum Beispiel meiner Bank und einer speziellen Filiale wie auch meinem persönlichen Ansprechpartner seit Jahr und Tag treu verbunden bin, ohne nach rechts und links zu schielen, und wenn ich das auch noch gerne weitererzähle, dann ist wahre Loyalität erreicht.
In aller Regel, wenn nicht Bequemlichkeit uns übermannt, ist übrigens die Loyalität zu den Bezugspersonen am stärksten ausgeprägt. Denn Menschen kaufen von Menschen – und nicht von Unternehmen. Der ständige Wechsel von Ansprechpartnern ist also das tödlichste Gift beim gezielten Aufbau von Kundenloyalität.
Die vierte Loyalität
In unserer durch Social Media geprägten neuen Arbeits- und Lebenswelt kommt nun noch eine vierte Loyalität hinzu:
- die Loyalität zu den eigenen Netzwerken
Vor allem bei den "Digital Natives" ist diese Loyalität ausgeprägt. Das Massenphänomen Facebook ist ein typisches Beispiel dafür. Wir Netzwerkaffinen suchen, finden, hegen und pflegen die Mitgliedschaft in solchen unsere Identität stützenden Gemeinschaften, und wir reden voller Stolz über sie.
Die Verbundenheit zu deren Mitgliedern, unseren neuen Gefährten, stellen wir über andere Werte. Wir fühlen uns mit ihnen über gleiche Lebenseinstellungen, ähnliche Weltanschauungen und gemeinsame Erfahrungen verknüpft. Wir helfen einander und stehen füreinander ein. Wir widmen uns einer solidarisierenden Fankultur und einem kollektiven Markenkult. Wir beeinflussen einander bei unseren Kaufentscheidungen und konsumieren die gleichen Dinge.
Früher gab es solche Loyalitäten auch, doch sie waren vor allem vertikaler Natur. Man war zum Beispiel ein eingefleischter Siemensianer – ein Mitarbeiter der Firma Siemens also – und dem Unternehmen ein Leben lang treu. Solche Topdown-Loyalitäten erodieren derzeit massiv. An ihre Stelle sind horizontal verflochtene Loyalitäten gerückt. Egal, welche Institution auch betrachtet wird: Die mehr oder weniger bedingungslose Obrigkeitsloyalität von einst gibt es nicht mehr. Soziale Netzwerke sind an ihre Stelle getreten. Und sie werden überall da zum Sicherheitsnetz, wo herkömmliche Sicherheitsnetze versagen.
Netzwerk-Loyalitäten entwickeln
Unsere Loyalität gehört heute den Peers, den Gleichrangigen, den lockeren Beziehungen im beruflichen und privaten Bereich. Ihnen gegenüber sind wir verbundenheitssüchtig. Und das leben wir nicht nur, wir zeigen es auch. Zeichen der Zugehörigkeit gibt es inzwischen überall. Logos heißen sie nun. Und die Menschen schmücken sich gerne damit. So entstehen in einer Ära, die zur Vereinzelung neigt, neuzeitliche Stammesgemeinschaften im Dschungel des Lebens.
Dabei kommt Werbung, auf die zu achten es sich lohnt, nun vornehmlich aus dem Kreis engagierter Verbraucher. Und kaufbestimmend ist, was das eigene Netzwerk sagt. Nicht Hochglanzbroschüren und Firmenwebsites, sondern das Suchfeld von Google & Co. ist zunehmend der Startpunkt für eine potenzielle Kundenbeziehung – und oftmals gleichzeitig das Ende. Marken sind nur noch dann etwas wert, wenn sie aktives Unterstützungspotenzial von Freunden, Fans und Fürsprechern haben. Denn Menschen beobachten verstärkt, was andere mögen – und folgen dem dann nahezu blind.
Wer also Netzwerk-Loyalitäten am packendsten auf sich vereinen kann, wird künftig zu den Gewinnern zählen. Insgesamt müssen jedoch alle vier Loyalitäten entwickelt werden. Bleibt eine auf der Strecke, dann wirkt sich dies auf das Treueverhalten der Kunden wie auch auf Empfehlungseffekte nachteilig aus.
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller: Touchpoints
Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute
Managementstrategien für unsere neue Businesswelt
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Gunter Dueck
Gabal, 3. aktualisierte Auflage, 350 S., 29,90 Euro, 47.90 CHF
ISBN: 978-3-86936-330-1
Ausgezeichnet als Mittelstandsbuch des Jahres und mit dem
Deutschen Trainerbuchpreis 2012
Das Hörbuch zum Thema
Anne M. Schüller: Touchpoints
Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute
ungekürzte Hörbuchfassung, 8 CDs
ISBN 978-3-86936-501-5, € 49,90 / CHF 62.50