Customer Experience: So kommt man den Kunden ganz nah
Während herkömmliche Manager vor allem an den Wettbewerb, ihre Quartalsziele und die Kosten denken, haben die Jungunternehmer längst verstanden, dass sich alles um die Kunden dreht. Eine Obsession für Kundenbelange nennen sie das. Denn jeder Anbieter ist auf das Wohlwollen seiner Kunden angewiesen wie niemals zuvor.
„Mich interessiert nicht die Bohne, ob der Brief bei Ihnen von ein oder zwei Personen unterschrieben werden muss. Mich ärgert, dass das Ganze mal wieder mehr als eine Woche gedauert hat. Andere schaffen das in einem Tag.“
Solche Beispiele, die von hilflosem Ärger zeugen, gibt es tagtäglich. Folgt man den Episoden, die Tom König in seinen Spiegel-Online-Kolumnen so trefflich beschreibt, ist dies hier ein vergleichsweise harmloser Fall.
Eingezwängt in ein Vorschriftenkorsett, dürfen engagierte Mitarbeiter die Probleme ihrer Kunden nicht mal dann lösen, wenn sie es wollten. Das Web ist voll von solchen Episoden, und das schon seit Jahren. Wieso schauen denn die Manager da nicht endlich mal hin?
Die Kluft zwischen Selbstbild und Fremdbild
Blind und taub für die Belange der Kunden glauben die Oberen doch tatsächlich, schon ganz schön weit zu sein. Selbstbild und Fremdbild liegen oft weit auseinander. So meinen einer Studie von Bain & Company zufolge 80 Prozent aller Unternehmen, ein herausragendes Kundenerlebnis zu bieten, aber nur 8 Prozent ihrer Kunden stimmen dem zu.
Wunschdenken, Selbstüberschätzung und ein verstellter Blick des Managements für die Realität findet sich in allen Bereichen, so auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern:
- Einer Untersuchung der Rochus Mummert Consultants zufolge glaubten 63 Prozent der befragten Unternehmenschefs, über eine hohe moralische Integrität zu verfügen und dafür in der Belegschaft auch geschätzt zu werden. Bei den Mitarbeitern sahen dies aber nur 16 Prozent so.
- Eine Stepstone-Untersuchung brachte zutage, dass 94 Prozent der befragten Personalverantwortlichen annehmen, dass die Angestellten ihre Firma als Arbeitgeber empfehlen, wohingegen dies nur 45 Prozent tatsächlich tun.
- Einer IKuF-Studie zufolge bewerteten 70 Prozent der befragten Manager ihre Fähigkeit, angemessen und konstruktiv Feedback zu geben, als sehr gut oder gut. Nur 45 Prozent der befragten Mitarbeiter sahen das genauso.
- Viele Arbeitgeber halten ihre Angestellten für glücklicher, als diese in Wirklichkeit sind. Auf einer Skala von null bis zehn schätzten sie deren Glücksstatus auf 7,2, während ihn die Mitarbeiter mit 5,1 angaben. Auch das fand Stepstone heraus.
Eine zentrale Erkenntnis aus der Glücksforschung ist außerdem die, dass Menschen weniger glücklich sind, wenn sie sich in Gegenwart ihres direkten Vorgesetzten befinden. Wer aber weniger glücklich ist, dessen Leistung ist eingeschränkt. Der kann nicht die optimale Performance erbringen. Man muss drinnen im Unternehmen beginnen, damit es draußen beim Kunden klappt.
Der Kunde an erster Stelle? Oder an letzter!
„Steht bei euch der Kunde denn wirklich an erster Stelle?“, frage ich gern. Da nicken alle fleißig und brav. Wiewohl schon ein kleiner Schnelldurchlauf zeigt: Die Realität sieht völlig anders aus.
- Bei Vertriebspräsentationen, da geht das eine halbe Stunde lang so: Wir sind … Wir haben … Wir können …
Wir wollen … Wir bieten …! Mit anderen Worten: Ich erzähle jetzt erst mal, wie toll wir sind. Auf der allerletzten Seite dann endlich: der Logofriedhof mit den bestehenden Kundenbeziehungen. Aha, der Kunde kommt zum Schluss. - Die öffentlichen Bereiche produzierender Unternehmen? Ein reines Egoprogramm: Maschinenteile, Miniaturen von Fertigungsanlagen, Luftbildaufnahmen, Gründerporträts, Urkunden und Pokale. Ganz groß an der Wand: eine Weltkarte voller Fähnchen, Symbole für ein territoriales Eroberungsprogramm. Von Kunden keine Spur.
- Der erste Navigationspunkt auf vielen Websites heißt: „Wir über uns“. Hört euch an, was wir zu sagen haben, ist die Botschaft, und dann lasst uns in Ruh. Eine Kontaktmöglichkeit zu finden ist oft wie das Suchen von Eiern zu Ostern. Viele Firmen wollen offensichtlich gar nicht mit Kunden reden. Das kostet nämlich Geld!
„Ein zukunftsfähiges Unternehmen richtet sein Augenmerk und seine Energie statt nach innen, also auf Pläne, Politik, Verhandlung und interne Leistungsdemonstration, verstärkt nach außen – auf Markt, Wettbewerb und Kunden“, sagt der Managementberater Niels Pfläging, der dafür den Begriff Beta-Organisation nutzt.
Tja, die knappste Ressource eines Unternehmens ist nicht das Kapital, sondern es sind die Führungskräfte, die kundenfokussiert denken und handeln. Denn erst, wenn das passiert, machen die Mitarbeiter das Gleiche. Customer first! So sollte also der Schlachtruf lauten. Der Kunde gehört an die erste Stelle. Customer Obsession ist heutzutage ein Muss!
Die Chefs bräuchten öfter Kundenkontakt
Von Kunden können Manager eine Menge lernen. Doch vom Schreibtisch aus fällt das sehr schwer. Tauchen Sie also ein ins Konsumentengetümmel, entfliehen Sie dem internen Abschirmprogramm, den Limos mit getönten Scheiben, dem Getto der Senator-Lounge. Betreiben Sie Feldforschung am eigenen Leib.
Ein Kunde, der Ihnen mal so richtig die Meinung sagt, kann mehr bewirken als jedes Repräsentativ-Ergebnis aus der Sterilität eines Marktforschungslabors. Repräsentativität ist sowieso Blödsinn, weil man nur nichtssagende Durchschnittswerte erhält.
Konzentrieren wir uns lieber auf die Ausreißer. Gerade von denen erfährt man die nützlichsten Dinge: was bei Ihnen absolut klasse läuft und wo es lichterloh brennt. So können gerade „schwierige“ Kunden als Leistungstreiber nach innen dienen. Denn da, wo die größten Kundenprobleme sind, schlummert die höchste Rendite.
Also: Woher rühren die Berührungsängste, die viele Manager haben, wenn es um fundierte Gespräche mit Kunden geht? Ich kenne Führungskräfte, die heilfroh sind, seit ihrer Beförderung „endlich den täglichen Kleinkrieg mit diesen Nullcheckern los zu sein“. Sie betrachten es als Rückschritt in ihrer Karriere, wieder mit Kunden konfrontiert zu werden!
Ein Großteil der Personaler war noch nie mit Kunden in Kontakt. Ich kenne aber auch Marketingleiter, die lieber an gekünstelten Zielgruppendefinitionen basteln, als den Leuten mal aufs Maul zu schauen. Ich kenne Vertriebsleiter, die man eigentlich nur als Verwalter bezeichnen kann. Sie haben zu keiner Zeit selbst verkauft.
Um ihre Call Center machen die Chefs einen weiten Bogen, aus lauter Angst, mal ans Telefon gerufen zu werden. Und dann wiederum gibt es die, die täglich im Kundenservice vorbeischauen und auch selbst Gespräche führen. So kann man den Mitarbeitern ein kundenorientiertes Vorbild sein. Vor allem aber gewinnt man jede Menge Lernmaterial.
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- Tags: Kundengewinnung Kundenkontakt