Consultophobie
... oder zwanghafte Beratungsresistenz bei KMU?
Ein kursierendes Phänomen ist bei Entscheidern im Mittelstand leider immer wieder auszumachen: die absolute Beratungsresistenz. Der von mir persönlich hierfür geprägte Fachbegriff – auf den ich hiermit auch Urheberrechts-Anspruch erhebe – lautet: "Consultophobie".
Der Prozentsatz derer, die alles besser wissen, ist sehr hoch und wächst ständig an – denn täglich sammeln die "alten Haudegen", die Kapitäne der Wirtschaft, wie Inhaber, Geschäftsführer, Manager bis hin zum Handwerksmeister und Ladenbesitzer, umfangreiche Erfahrungen, die den geschulten Blick von außen natürlich völlig überflüssig machen. Im Übrigen gelten bei den betroffenen Personen die Maximen: "Das haben wir schon immer so gemacht!" und "Wir kennen unsere Kunden am besten!" Aber wie ist das z.B. mit neuen Kunden?
Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich bin Mittelstandsberater mit Herzblut, aber kein Missionar. Die Kunden unseres Unternehmens – und es gibt sie glücklicherweise in gutem Umfang – wissen unsere Impulse, unsere Leistung und den für sie bestehenden Mehrwert sehr zu schätzen. Ich hoffe sehr, dass sich keiner unserer Kunden hier angesprochen und auf den Schlips getreten fühlt, denn die sind nun wirklich nicht gemeint.
Worüber ich mir ernsthaft sorgen mache, sind die Unternehmer, die sich generell keine Beratung holen bzw. diese partout nicht beherzigen. Die einzige Akzeptanz genießt oft der Steuerberater / Wirtschaftsprüfer oder der Rechtsanwalt. Aber: Durch meinen langjährigen Austausch mit diesen Berufsgruppen, im fachübergreifenden Beraternetzwerk des IBWF Institut e.V., weiß ich gesichert, dass auch die Ratschläge dieser altehrwürdigen beratenden Berufe sehr gern in den Wind geschossen werden. Woher also kommt diese Abwehrhaltung?
Die Anthropologie der Consultophobie
Beratungsresistenz ist im Grunde so alt wie die Geschichte der Menschheit. Das erste niedergeschriebene Indiz finden wir in der Bibel, als Adam und Eva – wider besseres Consulting – unbedingt vom verbotenen Apfelbaum naschen mussten. Die Geschichte ist hinlänglich bekannt. Consultophobie steckt somit latent in jedem von uns. Jeder kennt Erlebnisse aus seiner Kindheit, in denen sie oder er bewusst gegen gute Ratschläge der Eltern, Paten, Geschwister, Lehrer ... gehandelt hat und damit voll auf die Nase gefallen ist. Der Klassiker, und den habe ich auch bei meinen beiden Kindern erleben müssen, ist: "Fass' niemals auf die heiße Herdplatte!" Sie tun es. Warum? Consultophobie sitzt tief in uns drin, sie ist Ausdruck unseres Forscher- und Tatendrangs. Es ist das zutiefst menschliche Bedürfnis, das uns treibt, unseren eigenen Weg zu gehen, eigene Erfahrungen zu sammeln und die "Bevormundung" durch andere generell in Frage zu stellen. Das ist prinzipiell auch gut so. Schließlich geht es in der Geschichte der Menschheit schon immer darum, die alte Rangordnung in Frage zu stellen, alte Zöpfe abzuschneiden und neue Wege zu gehen – in Kultur, Wissenschaft, Technik, Wirtschaft ...
Die andere Seite der Medaille ist unsere moderne arbeitsteilige Wirtschaftsordnung. Jeder ist irgendwie spezialisiert und erfüllt seine Aufgabe in einem globalen Räderwerk. Der eine bildet ein großes Zahnrad, der andere ein kleineres. So greift eines ins andere und die Räder drehen sich. Gut, es gibt auch ausgiebig viele Zeitgenossen, die sich bewusst oder unbewusst als Sand im Getriebe betätigen, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Zurück zum Thema: Mir käme es jedenfalls niemals in den Sinn, die Arbeit meines Steuerberaters, Rechtsanwaltes, Arztes, Automechanikers, Schornsteinfegers, Metzgers etc. selbst erledigen zu wollen, geschweige denn zu behaupten, dass ich das besser könnte. Doch so denken leider sehr viele Lenker kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Die Beweggründe der Betroffenen
Oft ist es einfach die Furcht vor völlig überhöhten Honoraren und einer fragwürdigen Erkenntnis aus langwierigen Projekten, nebst dem völligen Allein-gelassen-Sein mit der Umsetzung der erarbeiteten Thesen. Diese Furcht wird natürlich genährt durch Berichte über spektakuläre Beratungsprojekte der ganz Großen unserer Branche. Da ist oft von 6- bis 7-stelligen Budgets die Rede, allein bei dieser Vorstellung erlebt der Inhaber oder Geschäftsführer eines KMU einen spontanen Blutsturz.
Ein weiterer zentraler Grund für Consultophobie ist (s.o.) der bloße Glaube daran, dass man als erfahrener Unternehmenslenker sowieso alles besser weiß. Ob sich in Sachen Kundenorientierung, Markterfordernisse, Unternehmenskultur, Kommunikationskanäle oder Vertriebswege die Welt vielleicht weiterentwickelt hat, das ist nicht relevant. Zumindest noch nicht, denn im Moment läuft es ja noch prächtig. Ein geschulter Blick und ein wohl reflektierter Ratschlag von außen wird als gefährliches Störfeuer betrachtet, das womöglich alles Funktionierende existenziell bedroht.
Das wohl mächtigste Hemmnis ist aber die vorherrschende Angst, sich über das Engagement von externen Spezialisten eingestehen zu müssen, dass man eben doch nicht alles selbst beherrscht. Dies ist eine zutiefst menschliche Angst, aber sie ist grundfalsch. Das Hinzuziehen von Experten ist kein Eingeständnis von Schwäche, sondern von Weitsicht!
Praxisreport – gut und böse
Gut: Unsere erfolgreichsten Kunden scharen z.T. eine ganze Reihe von spezialisierten Beratern um sich. Wir sind häufig Teil eines sogenannten "Think-Tanks" (Denkfabrik) und helfen konstruktiv mit, diese Unternehmen, in allen Belangen, optimal auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen auszurichten. Natürlich kostet diese "consultophile" Grundausrichtung Geld, doch bei der Auswahl der richtigen Berater springt ein Mehrfaches dabei heraus – durch neue Ideen, neue Produkte, neue Organisationsformen, neue Zielgruppen, neue Märkte, mehr Kundenzufriedenheit und vieles mehr.
Böse: Consultophobie kann Existenzen zerstören! An einem selbst erlebten Beispiel werde ich meine These erläutern: Mit einem im Jahr 2008 auf uns zugekommenen Gründer im Einzelhandel erarbeiteten wir einen belastbaren Businessplan und eine komplette Budgetplanung. Darin enthalten war eine Summe von € 20.000,- für sämtliche Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen des ersten Geschäftsjahres. Das war zwar schlank, aber dem Geschäftsmodell und den finanziellen Möglichkeiten des frischen Unternehmers angemessen. Unser damaliger Kunde ist, mit diesen Unterlagen bewaffnet, bei seiner Bank vorstellig geworden und hatte zunächst vollen Erfolg, denn das Konzept war glaubwürdig und schlüssig. Also wurde die Gründung bewilligt, die notwenigen Gelder flossen. Alle nun vorhandenen Mittel hat unser Kunde aber – trotz unserer vehementen Intervention – nach und nach in den Wareneinkauf gesteckt. Für die Vermarktung seines Geschäftes war letztendlich dann keine Liquidität mehr vorhanden. Der Rest ist schnell erzählt: Der Laden musste nach einem halben Jahr wieder schließen – trotz oder wegen vollen Lagers. Kurzum: der Gründer beantragte die Insolvenz. Dies tut uns sehr weh und dies ist ein sehr tragisches Beispiel.
Zusammenfassung
Obwohl ich hier in der Rubrik "Glosse" ungern moralisch werden möchte, lade ich dennoch alle Unternehmer, Geschäftsführer, Inhaber, Verantwortliche und Entscheider ein, sich von der Consultophobie zu lösen. Werfen Sie Ihre Vorbehalte über Bord und sichern Sie sich Ihren Erfolg durch die Auswahl des oder der richtigen Berater. Wenn Sie sich einen Ruck geben, gewinnen Sie Vertrauen durch ein persönliches Gespräch und überzeugende Referenzen – aber bitte versuchen Sie es!