Wie doof sind Verbraucher wirklich?
… oder: Setzt beim Muttertag plötzlich der Verstand aus?
Seit über 25 Jahren betätige ich mich in der Beratung von Unternehmen der verschiedensten Branchen und der unterschiedlichsten Größen. Es geht dabei um Marketing, Vertrieb und Kommunikation, um Kundengewinnung und Kundenbindung – oder vereinfacht ausgedrückt: um den Verkauf. Alles Mögliche will optimal beworben, positioniert, vertrieben und letztendlich erfolgreich verkauft werden.
So weit, so gut, das ist das Gesetz des Wettbewerbs, der Innovation und/oder des Wachstums, und das ist zum Glück meine Leidenschaft.
Die Intention von Unternehmen, nämlich die, möglichst viel „verkaufen" zu wollen und dabei einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften, ist ja in keiner Form verwerflich. Schließlich beschäftigen Unternehmen Arbeitnehmer und erwirtschaften Steuern. Von daher sehe ich eine prosperierende Wirtschaft als etwas sehr Positives. Umso mehr, wenn ich einen Teil dazu beitragen kann.
Meinen Kunden habe ich von Anfang an geraten, konsequent den Kundennutzen in den Vordergrund zu stellen, um erfolgreich zu verkaufen. „Wenn der Kunde einen echten Nutzen hat, dann kann man ihn auch gewinnen", habe ich immer gesagt. Sei es eine Ersparnis, eine neue technische Errungenschaft, eine innovative Dienstleistung, ein einzigartiges Erlebnis und, und, und – dass, was ein Angebot positiv vom Wettbewerb differenziert, sollte in meinen Augen im Vordergrund stehen. Das ist ehrlich und nachvollziehbar.
Ob man nun diese sog. „Alleinstellungsmerkmale" mit rein sachlichen Argumenten, mit Emotionen, mit Humor, mit Testimonials oder wie auch immer kommuniziert, hängt ganz vom einzelnen Fall ab. Auf jeden Fall – und das habe ich stets doziert – sollte man den Kunden ernst nehmen. Sehr ernst!
Ja klar, es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Aussagen von Geschäftsführern, Marketingleitern oder anderen Entscheidern aus Kundenunternehmen, die ungefähr so lauteten: „Das machen wir einfach mal so, das merken die Kunden sowieso nicht!" Daraufhin habe ich stets diskutiert, argumentiert, gekämpft ... im Sinne der Aufrichtigkeit. Marketing und Kommunikation müssen ehrlich sein (ja!), denn früher oder später macht sich das bezahlt. Oder anders herum ausgedrückt: Wer seine Kunden für dumm verkauft, wird früher oder später dafür bestraft. Im Zeitalter der Markttransparenz durch soziale Medien sogar noch früher als je zuvor.
Dies alles war mein Erfahrungshorizont und mein Credo bis zu dieser Woche. Doch nun kommen mir ernste Zweifel. Ja noch viel mehr, mein Weltbild ist tief erschüttert!
Starbucks schießt nun den Vogel ab
Der aus Seattle stammende US-amerikanische Kaffee-Filialist bringt es fertig, über seinen Onlineshop Geschenkgutscheine zum Muttertag für sage und schreibe $ 200,- zu verkaufen. Und jetzt der Knüller: Diese Gutscheine haben lediglich einen Gegenwert von $ 50,-!!!
Laut Starbucks, das die „limitierten" Geschenkkärtchen immerhin nett bedruckt und in eine hübsche Schatulle gepackt hat, hängen noch weitere Vorteile an dieser tollen Geschenkidee:
- kostenloser Versand
- sammeln von Treuepunkten
- mit diesen Treuepunkten verbundene Gratisgetränke
Ist das nicht ein sensationeller Deal?
Nein, ist es nicht, das ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten, jedoch unter dem oben beschriebenen unternehmerischen Ziel der Gewinnerwirtschaftung druchaus nachvollziehbar. Versuchen kann man es ja mal.
Das eigentlich Erschütternde an dieser Story ist: Diese Gutscheine verkaufen sich wie warme Semmeln. Gemäß dem Schweizer Onlinedienst 20 Minuten hat Starbucks im vergangenen Jahr eine identische Karte in anderem Design aufgelegt und die war restlos ausverkauft! Natürlich kennen wir die Gesamtauflage nicht, aber ich stelle mir schon die Frage: Wie blöd muss man sein, um auf dieses Angebot einzusteigen? Oder ist es pure Verzweiflung wegen des Muttertags?
Interessanterweise ist dieses Schnäppchen auf der deutschen Homepage von Starbucks nicht verfügbar. Da setzt man zu Muttertag ganz klassisch auf Tassen. Hält Starbucks die Deutschen also für cleverer? ... oder für nicht reif genug für so eine innovative Idee?
Wie auch immer, ich werde mir nun ernsthaft überlegen, meinen Kunden zu ähnlichen Schnäppchen-Paketen zu raten, so à la „kaufe 2, bezahle 3", „Sie schneiden, wir föhnen" oder noch besser: „Treuepunkte, heute exklusiv zum doppelten Preis, fragen Sie an der Kasse!" – bin mal auf den Erfolg gespannt.
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