Während herkömmliche Manager vor allem an den Wettbewerb, ihre Quartalsziele und die Kosten denken, haben die Jungunternehmer längst verstanden, dass sich alles um die Kunden dreht. Eine Obsession für Kundenbelange nennen sie das. Denn jeder Anbieter ist auf das Wohlwollen seiner Kunden angewiesen wie niemals zuvor.
„Mich interessiert nicht die Bohne, ob der Brief bei Ihnen von ein oder zwei Personen unterschrieben werden muss. Mich ärgert, dass das Ganze mal wieder mehr als eine Woche gedauert hat. Andere schaffen das in einem Tag.“
Solche Beispiele, die von hilflosem Ärger zeugen, gibt es tagtäglich. Folgt man den Episoden, die Tom König in seinen Spiegel-Online-Kolumnen so trefflich beschreibt, ist dies hier ein vergleichsweise harmloser Fall.
Eingezwängt in ein Vorschriftenkorsett, dürfen engagierte Mitarbeiter die Probleme ihrer Kunden nicht mal dann lösen, wenn sie es wollten. Das Web ist voll von solchen Episoden, und das schon seit Jahren. Wieso schauen denn die Manager da nicht endlich mal hin?
Blind und taub für die Belange der Kunden glauben die Oberen doch tatsächlich, schon ganz schön weit zu sein. Selbstbild und Fremdbild liegen oft weit auseinander. So meinen einer Studie von Bain & Company zufolge 80 Prozent aller Unternehmen, ein herausragendes Kundenerlebnis zu bieten, aber nur 8 Prozent ihrer Kunden stimmen dem zu.
Wunschdenken, Selbstüberschätzung und ein verstellter Blick des Managements für die Realität findet sich in allen Bereichen, so auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern:
Eine zentrale Erkenntnis aus der Glücksforschung ist außerdem die, dass Menschen weniger glücklich sind, wenn sie sich in Gegenwart ihres direkten Vorgesetzten befinden. Wer aber weniger glücklich ist, dessen Leistung ist eingeschränkt. Der kann nicht die optimale Performance erbringen. Man muss drinnen im Unternehmen beginnen, damit es draußen beim Kunden klappt.
„Steht bei euch der Kunde denn wirklich an erster Stelle?“, frage ich gern. Da nicken alle fleißig und brav. Wiewohl schon ein kleiner Schnelldurchlauf zeigt: Die Realität sieht völlig anders aus.
„Ein zukunftsfähiges Unternehmen richtet sein Augenmerk und seine Energie statt nach innen, also auf Pläne, Politik, Verhandlung und interne Leistungsdemonstration, verstärkt nach außen – auf Markt, Wettbewerb und Kunden“, sagt der Managementberater Niels Pfläging, der dafür den Begriff Beta-Organisation nutzt.
Tja, die knappste Ressource eines Unternehmens ist nicht das Kapital, sondern es sind die Führungskräfte, die kundenfokussiert denken und handeln. Denn erst, wenn das passiert, machen die Mitarbeiter das Gleiche. Customer first! So sollte also der Schlachtruf lauten. Der Kunde gehört an die erste Stelle. Customer Obsession ist heutzutage ein Muss!
Von Kunden können Manager eine Menge lernen. Doch vom Schreibtisch aus fällt das sehr schwer. Tauchen Sie also ein ins Konsumentengetümmel, entfliehen Sie dem internen Abschirmprogramm, den Limos mit getönten Scheiben, dem Getto der Senator-Lounge. Betreiben Sie Feldforschung am eigenen Leib.
Ein Kunde, der Ihnen mal so richtig die Meinung sagt, kann mehr bewirken als jedes Repräsentativ-Ergebnis aus der Sterilität eines Marktforschungslabors. Repräsentativität ist sowieso Blödsinn, weil man nur nichtssagende Durchschnittswerte erhält.
Konzentrieren wir uns lieber auf die Ausreißer. Gerade von denen erfährt man die nützlichsten Dinge: was bei Ihnen absolut klasse läuft und wo es lichterloh brennt. So können gerade „schwierige“ Kunden als Leistungstreiber nach innen dienen. Denn da, wo die größten Kundenprobleme sind, schlummert die höchste Rendite.
Also: Woher rühren die Berührungsängste, die viele Manager haben, wenn es um fundierte Gespräche mit Kunden geht? Ich kenne Führungskräfte, die heilfroh sind, seit ihrer Beförderung „endlich den täglichen Kleinkrieg mit diesen Nullcheckern los zu sein“. Sie betrachten es als Rückschritt in ihrer Karriere, wieder mit Kunden konfrontiert zu werden!
Ein Großteil der Personaler war noch nie mit Kunden in Kontakt. Ich kenne aber auch Marketingleiter, die lieber an gekünstelten Zielgruppendefinitionen basteln, als den Leuten mal aufs Maul zu schauen. Ich kenne Vertriebsleiter, die man eigentlich nur als Verwalter bezeichnen kann. Sie haben zu keiner Zeit selbst verkauft.
Um ihre Call Center machen die Chefs einen weiten Bogen, aus lauter Angst, mal ans Telefon gerufen zu werden. Und dann wiederum gibt es die, die täglich im Kundenservice vorbeischauen und auch selbst Gespräche führen. So kann man den Mitarbeitern ein kundenorientiertes Vorbild sein. Vor allem aber gewinnt man jede Menge Lernmaterial.
Anne M. Schüller: Touchpoints
Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute
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ISBN: 978-3-86936-330-1
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