20
Mai
2014

Der Coachingauftrag und sechs Fallen

Oliver Bartels: Der Coachingauftrag und sechs Fallen „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut." (Volksweisheit)

Für das Gelingen von Coaching-Gesprächen ist die Auftragsklärung unerlässlich. Sie ist von zentraler Bedeutung für den Coaching-Klienten und auch für den Coach. Erst wenn beiden klar ist, was im Weiteren passieren wird, sollte es losgehen. Das Autorenduo Oliver Bartels und Kerstin Wundsam haben für ihr Buch „Mein erstes Mal. Was Coaching alles verändern kann" sechs Fallen und Erfolgsfaktoren zusammengetragen, damit das Coaching auch wirklich den gewünschten Erfolg verzeichnet.

Sechs Fallen und sechs Erfolgsfaktoren

Wie überall im Coaching sind auch bei der Auftragsklärung die Fragen des Auftragnehmers (des Coaches) an den Auftraggeber (des Coaching-Klienten) das A & O. Die Auftragsklärung ist jedoch mehr als die bloße Frage: „Was müssen wir hier besprechen, damit Sie Ihrem Ziel näher kommen?" Mit der Auftragsklärung gestaltet der Coach aktiv das gesamte Beratungssystem und das wollen wir uns an dieser Stelle im Detail genau anschauen.

Erste Falle: „Der tut nichts – der will nur helfen."

Täglich begegnen uns im Berufs- und im Privatleben Situationen, in denen wir glauben, wir hätten einen Auftrag gehört. Vielleicht kennen Sie das auch: Sie servieren Ihren Mitarbeitern, Ihrer Frau oder Ihren Freunden Lösungen, die gar keine Lösungen bestellt haben. In einem Restaurant würden wir uns sicher heftig beschweren, wenn uns der Kellner plötzlich einen Bohneneintopf serviert, nachdem wir ihn nach der Speisekarte gefragt haben. Er glaubte, gehört zu haben, dass wir den Eintopf bestellt haben, doch wir haben lediglich nach der Karte gefragt. Im Berufsleben sind wir und unsere Mitarbeiter offenbar schon daran gewöhnt, dass andere für uns ohne Auftrag handeln oder wir für andere ohne Auftrag tätig werden. Vielleicht kennen Sie auch einen Kollegen, der Sie – sagen wir einmal bei der täglichen Arbeit am PC – beobachtet. Diesem Kollegen erscheint Ihr Blick auf den Bildschirm etwas zu angestrengt und schon hören Sie ihn fragen: „Gibt es ein Problem?" Ihre prompte Antwort „Nein" verhallt ungehört in den Weiten des Großraumbüros. Sie hören eine direkte, auf den Punkt gebrachte Diagnose des Problems: „Das kenne ich. Hatte ich letzte Woche auch ..." und es folgt eine detaillierte Schilderung des vermeintlichen Problems. Sie sind noch völlig überrascht, dass Sie scheinbar einen Blick oder eine Körperhaltung eingenommen haben müssen, welche bei Ihrem Kollegen den Anschein erweckt, Sie hätten ein Problem. Zugleich fragen Sie sich, was Ihr Kollege an dem Wort „Nein" wohl missverstanden haben könnte. Und noch bevor Sie überhaupt klarstellen können, dass es sich keineswegs um eine schwierige Situation handelt, prasseln schon die gut gemeinten Lösungen auf Sie ein. Selbst ein deutliches „Es ist wirklich kein Problem" lässt den Kollegen nur an der Schwere des Problems festhalten: „Sie brauchen das jetzt nicht kleinzureden. Das ist allen in der Abteilung schon mal passiert und aus Fehlern kann man lernen ..." An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wie konnte das passieren? Wie konnte der Kollege einen Auftrag hören und tätig werden? Wir werden es nie erfahren.

Sie können jedoch für sich beschließen, im Coaching und in jeder anderen Situation keine gespürten Aufträge mehr zu (er)finden.

→ Finger weg von „gespürten" Aufträgen!

Zweite Falle: „Ich sehe was, was Du nicht siehst ..."

Ihr Mitarbeiter schildert Ihnen wortreich eine Situation: „Gestern Abend, kurz nachdem Sie das Büro verlassen haben, rief Herr Müller an. Sie wissen doch, unser beste Kunde aus der Region Süd-West. Er war völlig außer sich und beschwerte sich über die schlechte Behandlung unserer Vertriebsniederlassung ..."
Seien Sie ehrlich. An welchem Punkt einer wortreichen, episch-breiten Schilderung eines aufgeregten Mitarbeiters hören Sie nicht mehr einfach nur zu, sondern beginnen mit der Produktion eigener Lösungsvorschläge? („Ich muss Herrn Müller selber anrufen. Am besten noch vormittags" oder „Im nächsten Vertriebsmeeting braucht es unbedingt endlich den Punkt Beschwerdemanagement" etc.)

Sie haben eine Bestellung gehört und servieren Eintopf. Vielleicht mögen Sie einwenden, dass Ihre knappe Zeit als Führungskraft nicht zulässt, die gesamte Geschichte in all ihren Facetten bis zu Ende anzuhören. Und gerade mit diesem Argument ist die Auftragsklärung von enormer Bedeutung: Fragen Sie Ihren Mitarbeiter, warum er Ihnen diese Geschichte erzählt und was er von Ihnen erwartet. Hierfür müssen Sie die Geschichte nicht einmal bis zum Ende anhören. Denn in der Antwort Ihres Mitarbeiters liegt der Schlüssel und eine Vielzahl an Möglichkeiten: Vielleicht möchte er, dass Sie tätig werden und Herrn Müller anrufen, oder er möchte einen Ratschlag von Ihnen; vielleicht möchte er gelobt werden und Anerkennung hören, weil er das Problem längst erfolgreich gelöst hat. Bei der ersten Möglichkeit hätten Sie richtig geraten; im Falle der letzten Möglichkeit könnte es passieren, dass Sie nie von den Leistungen Ihres Mitarbeiters erfahren. Vielleicht möchte Ihr Mitarbeiter Ihnen von dem unfähigen Verhalten des Kollegen in der Niederlassung erzählen und er erwartet eine Maßregelung. Es ist auch möglich, dass er einen Fehler begangen hat und diesen einräumen möchte, damit kein anderer Kollege verdächtigt wird. Die Motive Ihres Mitarbeiters und das, was er von Ihnen erwartet, können vielfältig sein und wir haben nur eine Möglichkeit, um genau herauszufinden, wieso er Ihnen die Begebenheit schildert: durch Fragen.

→ Die Auftragsklärung ist die Klärung der Erwartungshaltung des anderen!

Dritte Falle: Jeder darf alles von mir erwarten.

Das Coaching-Gespräch hat, so wie eine Medaille, zwei gleichberechtigte Seiten. Sie müssen keineswegs die Erwartungshaltung des anderen erfüllen und den Auftrag um jeden Preis annehmen.

Lassen Sie uns kurz den Vergleich mit dem Restaurant wieder aufnehmen: In einem vegetarischen Restaurant können Sie zwar einen Schweinebraten erwarten und bestellen, es ist jedoch fraglich, ob man ihn auch liefern wird. Mitarbeiter können beispielsweise glauben, wir seien verpflichtet, sie bei der Zielerreichung zu unterstützen, oder wir seien verantwortlich dafür, dass sie ihre Ziele erreichen. Ob und inwieweit das zutrifft, muss zunächst einmal die Führungskraft selbst entscheiden. Wenn Ihr Mitarbeiter lieber einen Ratschlag anstelle eines Coachings haben möchte, müssen Sie entscheiden, ob Sie das auch liefern wollen. Sie können auch „nein" sagen. Und das zu jedem denkbar möglichen Auftrag.

Kollegen können beispielsweise erwarten, dass Sie sie bemitleiden, mit ihnen jubeln oder ihnen Recht geben. Sie möchten dann bestimmt kein Coaching – sie möchten Recht bekommen. Ob Sie das Erwartete liefern, werden Sie im Rahmen der Auftragsklärung entscheiden müssen. Vielleicht kennen Sie auch diese Fälle: Menschen bitten um Ihr Vertrauen, bevor sie einen Sachverhalt schildern. Das ist grundsätzlich völlig in Ordnung. Sollten diese Personen Sie aber ins Vertrauen über eine dritte Person ziehen und Sie bitten, mit niemandem darüber zu sprechen, dann kann sich ein Paradoxon in der Auftragsklärung einstellen.

Es stellt sich Ihnen die Frage: Kann ich versichern, nichts weiterzuerzählen? Und dabei kommt es auf den Sachverhalt an, denn in manchen Fällen könnte der Inhalt Sie in Ihrer Funktion dazu verpflichten, Informationen weiterzugeben. Einen solchen Auftrag anzunehmen, kann Sie in Gewissenskonflikte bringen. Ein weiteres Beispiel könnte sein, dass eine Person sich Ihnen zu Details über einen Dritten anvertraut und Sie darum bittet, diese dritte Person weiterhin ganz neutral zu behandeln und zu sehen. In vielen Fällen ist es nicht vorhersehbar, wie Sie reagieren werden ... weil es eben darauf ankommt (eben auf den Inhalt der vertraulichen Information). Ihre beste Freundin vertraut Ihnen an, dass sie von ihrem Partner, den Sie kennen und schätzen, oft geschlagen wird. Sie sollen es aber um Himmels willen keiner Menschenseele erzählen (das ist zu schaffen) und Sie sollen sich bitte genauso wie vorher gegenüber dem Partner der besten Freundin verhalten (viel Glück dabei!).

„Today I'm handing out lollipops and ass-whoopins and right now, I'm all out of lollipops." (Aus „Will & Grace", TV-Serie)

→ Sie entscheiden, was Sie liefern wollen – im Zweifel: Liefern Sie gar nichts!

Vierte Falle: Ein Coaching ist ein Coaching ist ein Coaching ist ein ...

Unter dem Begriff Coaching wird vieles zusammengefasst. Wir haben als Herausgeber und Coaches nicht den Anspruch, die „einzig richtige" Form von Coaching zu betreiben, und möchten an dieser Stelle die inflationäre Verwendung des Begriffes Coaching nicht vertiefen. Ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist jedoch im Rahmen der Auftragsklärung unerlässlich: Sie und Ihr Coaching-Klient sollten die gleiche Vorstellung davon haben, was passiert, wenn Sie ein Coaching-Gespräch führen. Da es die verschiedensten Möglichkeiten gibt – und Ihr Coaching-Klient möglicherweise schon verschiedenste Erlebnisse oder Informationen über Coachings hat – sollten Sie ganz praktisch klarstellen, was Ihren Gesprächspartner erwartet – und was nicht.

→ Sagen Sie klar, was Sie zu geben bereit sind!

Fünfte Falle: Sich verändernde Ziele und falsche Erwartungen

Angenommen, Sie haben detailreich geklärt, was Sie unter Coaching verstehen (oder unter jeder anderen Form von Unterstützung und Beratung). Und angenommen, Ihr Coaching-Klient (Ihr Auftraggeber) möchte genau diese Form der Unterstützung annehmen. Auch jetzt noch kann es zu unterschiedlichen Erwartungen zwischen dem Coach und dem Coaching-Klienten kommen. Es kann alles geklärt sein und trotzdem ganz anders kommen. Während des Gespräches wird vielleicht deutlich, dass Ihr Klient unter all den Schichten der „Erwartungshaltungen" und „Eigentlich-wäre-es-wichtig"-Zielen sich etwas ganz anderes wünscht. Die Zeit schreitet voran und fast am Ende der gemeinsamen Gesprächszeit wird Ihnen klar: Das Ziel und der Auftrag haben sich verändert (siehe hierzu auch vorherigen Kasten)!

Hier würden wir Ihnen empfehlen: Stoppen Sie den Prozess und klären Sie erneut das Ziel und folglich Ihren Auftrag. Ein klarer Auftrag und Klarheit in der Zielvorgabe ist gewinnbringender, als ein halbherziges Lösungsbild zu erarbeiten. Was haben Sie von einem neuen Mantel im Kleiderschrank, den Sie nie anziehen werden?

→ Holen Sie sich einen neuen Auftrag, wenn sich das Ziel Ihres Gegenübers im Laufe des (Coaching-)Prozesses verändert!

Sechste Falle: „Ich coache, also bin ich."

Zum Abschluss möchten wir nochmals den Fokus darauf legen, dass die Unterstützungsleistung natürlich nicht immer Coaching sein muss. Selbstverständlich kann auch einfach „dasein" und zuhören enorm wichtig oder die Weitergabe einer Information notwendig sein, weil jemand ohne diese Information nicht vernünftig weiterarbeiten kann. Auch Ratschläge sind häufig angebracht (mit all ihren Chancen und Risiken), und zwar dort, wo es jemand ausdrücklich wünscht oder darum bittet. Es kommt eben darauf an, was der andere erwartet und sich wünscht und was Sie in der Folge zu geben bereit sind. Manchmal werden Sie vielleicht auch den inneren Drang verspüren, einen Ratschlag geben zu wollen; und sogar das ist möglich, mit beispielsweise der Frage: „Ich habe dazu eine Idee. Möchten Sie sie hören?" Sollte Ihr Gesprächspartner ablehnen, dann wissen Sie auch (dem Himmel sei Dank!), woran Sie sind.

→ Coachen Sie dort, wo es passt!

Geschrieben von Oliver Bartels Kategorie Unternehmensführung

Über den Autor

Oliver Bartels

Oliver Bartels

Oliver Bartels arbeitet als Führungskräftetrainer, systemischer Unternehmens- und Prozessberater für Teams und Organisationen und Vortragender im In- und Ausland. Sein Herz schlägt für die Themen Coachingausbildung ("sollte jeder können") und systemische Beratung ("hätte ich das vorher gewusst...."). Er ist (Co-)Autor von mehreren Fachartikel sowie drei Büchern.

Oliver Bartels systemische Organisationsberatung
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