Donnerstag, 21. November 2024

12
August
2013

An der Macht klammern (Teil 1)

"Entweder Sie schreiben oder werden Geschichte" (EXICON GmbH)

Demo_Gast_Wahlen Ein aktuell im Handelsblatt (Nr.133, S.12, v. 15.07.2013) erschienenes wirtschaftswissenschaftliches Experiment des Ökonomen der Uni Zürich, Ernst Fehr, wurde mir kürzlich auch praktisch wiederholt vor Augen geführt: Was passiert, wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitern weder zuhören noch diese an Entscheidungsprozessen teilhaben lassen. Und alles nur, weil der Abschied von der uneingeschränkten Macht so schwer fällt. Ausgangspunkt der Untersuchung war der Satz eines Staatsmannes und Diplomaten aus der Zeit der französischen Revolution:

 

„Kein Abschied fällt so schwer wie der Abschied von der Macht".

Diesem Satz ging Fehr wissenschaftlich auf den Grund, indem er beobachtete, „wie das Klammern an Macht Menschen zu verhängnisvollen Fehlern verleitet". Durchschnittlich 30 Prozent des Gewinns der in der Studie imaginären Firma gingen demzufolge aufgrund des autoritären Führungsstils von Führungskräften verloren.

In meinem Umfeld befindet sich ein lebensbejahender, hoch engagierter Manager und stolzer Vater, oft pfeifend die Stockwerke hochsteigend, welcher mir aber, entgegen der sonst gemachten Erfahrungen mit ihm, diesmal mit einer für mich bis dato unbekannten Haltung begegnete: demotiviert, leise und ohne jegliche Lebensenergie.

Auf meine anschließende Frage nach dessen Befinden folgte ein enttäuschter Redefluss bezogen auf seine seit vielen Jahren gelebten Kämpfe um Anerkennung, Selbstverwirklichung und gestalterische Verantwortung bei seinem Arbeitgeber. Diesen Kampf sah er als verloren an und musste feststellen, dass sich sein jahrelanges Engagement nicht lohne. Aufgrund seiner negativen Erfahrungen stellte er seine Eigeninitiative ein und fühlte eine schleichende Demotivation aufkommen. Damit bestätigte dieser – ohne die genannte Studie zu kennen – deren identischen Schluss.
Die Ergebnisse aus dem erwähnten wirtschaftswissenschaftilchen Experiment bringen das Team um den Ökonomen Fehr klar zu der Aussage, dass Menschen an der Macht hängen. Im Handelsblatt-Artikel heißt es hierzu schlussfolgernd:

„Wenn das Recht zu entscheiden selbst im Labor so wichtig ist, dürften sich Menschen im echten Leben – wenn es um Karrierewege, Reputation und Verantwortung für Ergebnisse geht – noch viel schwerer tun, Aufgaben zu delegieren. Dabei wäre die Aufteilung von Entscheidungsbefugnissen und Aufgaben für Chefs und Mitarbeiter oft die bessere Lösung." Genau diese Feststellung kann an meinem kürzlich erlebten Beispiel des Managers gut nachvollzogen werden:

Dessen unaufgefordert eingebrachten Innovationen und die damit zusammenhängenden Interessen, seinen Arbeitgeber, aber natürlich auch sich selbst voranbringen zu wollen, wurden von seiner Führungskraft zwar offiziell gehört, doch nie wirklich ernst genommen und als Dreh- und Angelpunkt der intrinsischen (dem Menschen eigenen) Motivation erkannt. Genau das im Handelsblatt-Artikel formulierte negative Gefühl, welches bei Mitarbeitern ausgelöst wird, weil diese nicht mitreden dürfen, stand personifiziert vor mir.

Das im Mitarbeiter liegende Potenzial lag unbeachtet viele Jahre lang brach. Meine Frage, ob von dessen Vorgesetzten zu seinen Vorschlägen hin Maßnahmen abgeleitet wurden oder über die Personalentwicklungs-Abteilung jemand in ihm den Leistungsträger gesehen hätte, der er faktisch ist, wurde unerwartet versöhnlich und verständnisvoll beantwortet:

Nun wurde ich aufgeklärt, dass es sich bei seinem Arbeitgeber um einen sehr großen internationalen Konzern handle, dessen Strukturen über die Jahre noch gewachsen seien. Da könne man einer vielbeschäftigten Führungskraft keinerlei Vorwürfe machen. Bei dieser Größe sei es nicht mehr möglich, sich um jeden Mitarbeiter selbst zu kümmern. Die nun folgenden Beschreibungen über den Chef fielen sehr wohlwollend aus, da man dessen Verhalten im Grundsatz als wertschätzend auffasste. Verwechselte da jemand die Wertschätzung mit dem kleinen Einmaleins des freundlichen und respektvollen Umgangs untereinander? Schließlich wäre die Wertschätzung doch darin zu sehen, ob ich gefordert werde, weil man mich fördert – demzufolge eine Weiterentwicklung stattfinden kann.

Wie viel hat denn ein so beschriebener Führungsstil tatsächlich mit Wertschätzung zu tun, wenn man der im Handelsblatt erwähnten Studie zufolge davon ausgehen muss, dass es sich für Führungskräfte in den allermeisten Betrieben gar nicht lohnt, auf ihre Mitarbeiter zu hören, da deren Festhalten an der eigenen Machtposition über allen vom Unternehmen gesteckten Zielen steht? Dabei ist doch heute der sogenannte „Kampf um die Talente" für kleine und mittelständische Unternehmen, sowie für Großkonzerne ein wachstumsentscheidender Faktor! Bedeutet das für mich als Zaungast eigentlich genauer betrachtet, dass jener Kampf um die Talente spätestens hinter der Firmentüre nicht mehr weitergeführt werden muss?

Personalpolitische Grundvoraussetzungen für die interne Wettbewerbsfähigkeit liegen bei so beschriebenen, wenig innovationsgetriebenen Unternehmen und deren Verantwortlichen unter der Decke von falsch verstandenem Harmonie- und Kuschelbedürfnis begraben. In solchen Unternehmen wird jegliches Feedback zugunsten einer scheinbaren Harmoniekultur unterbunden. Wenn die einmal pro Jahr stattfindenden Personalgespräche nur formal abgefrühstückt werden und keinerlei Interaktion mit Mitarbeitern über das restliche Jahr hinweg stattfindet, wie können dann zentrale Leistungswerte wie Zuversicht, Innovationsfähigkeit, Konsequenz, Ausdauer, Kooperation oder Empathie innerhalb eines Teams bis hin zur ganzen Organisation gedeihen? Schließlich negieren wir Normen, wenn wir leisten, dies geht demzufolge weit über das reine Arbeiten hinaus. Neue Mitarbeiter für das Unternehmen zu gewinnen ist eines, diese aber dann nachhaltig an den Prozessen zu beteiligen, um diese mittels Unternehmenszielen an die Organisation zu binden, etwas viel Komplizierteres.

Mein Plädoyer für den Menschen manifestiert sich nach wie vor nicht in der simplen Entschuldigung bezogen auf die Unternehmensgröße oder die konservativen Beschwörungen eines althergebrachten und damit autoritären Führungsstils. Alle Akteure eines Systems sind diejenigen, die nicht nur in Jahresabschlüssen als „unser größtes Kapital" stolz erwähnt werden, es sind diejenigen, die auch in Zeiten höchst technischer Modernität tatsächlich die Geschäfte machen – immer noch von Mensch zu Mensch. Wie kundenorientiert wäre es denn, wenn ich aufgrund der Größe meines Unternehmens mich nicht mehr in der Lage sehe, meinen Kunden ins Zentrum meines Engagements zu stellen?

Sie ahnen es längst: Der junge Manager, als unerkannter Leistungsträger, der er war, nervte schnell seine sozial völlig überforderte Führungskraft mit immer neuen Anläufen, den aktuellen Status quo negieren zu wollen. Und was läge da näher, als diesen einfach mal aus dem selbstzufriedenen und nicht perspektivisch ausgerichteten Dunstkreis seiner Führungskraft zu loben: Für sechs Monate bekam dieser „schwierig zu führende" Manager die Möglichkeit, im tausende Kilometer entfernten Mutterhaus des weltweit agierenden Konzerns Einfluss zu generieren. Man vergaß ihm allerdings zu sagen, dass das Mutterhaus längst andere Pläne für den Europasitz hatte.

Selbsterklärend dürfte jedem Leser längst klar sein, dass der hoch motivierte Manager mit noch weniger Illusionen zusammen mit seinem Koffer wieder ein halbes Jahr später an seinem angestammten Schreibtisch angeschwemmt wurde.

Da dessen negative Gefühle und die damit einhergehende Demotivation zwischenzeitlich zu einer inneren Kündigung führten, entschied er nach langen emotionalen Unsicherheiten, den Kampf gegen Windmühlen aufzugeben. Seine Loyalität zum Unternehmen hielt 20 Jahre lang an, doch genau diese wurde durch die Passivität und Ignoranz seiner Führungskraft systematisch verschliessen. Dessen Führungskraft hängt noch immer an der Macht und ist sich seiner daraus resultierenden teuren Folgen nach wie vor nicht bewusst.

Ich brauchte jedoch auch nicht lange zu orakeln, um zu ahnen, dass bei Bekanntwerden seiner Kündigung im Konzern plötzlich das große Jammern ausbrach: Wie konnte das nur passieren? Eine unserer „tragenden Säulen" will das Unternehmen nach dessen langjähriger „Prägung" verlassen? Wir haben uns doch nach bestem Wissen und Gewissen um den langjährigen Manager bemüht!

Dieser übrigens folgte dem Ruf eines Unternehmers, welcher ihm die Position eines Geschäftsführers im europäischen Ausland anbot. Ab jetzt wird er als oberster Entscheidungsträger selbst zeigen müssen, ob sein Verständnis von Führung womöglich von seiner desaströsen beruflichen Vergangenheit eingeholt werden wird. Die eingangs beschriebene Studie, welche der Volkswirt Ernst Fehr initiierte, gibt keine Lösung im Umgang mit dem Hang der Vorgesetzten zu kontraproduktiver Machtausübung preis. Gibt es sie denn gar nicht, oder liegt sie uns allen so fern, gerade weil wir uns dann von konservativen Führungsstilen verabschieden müssten? Erinnern wir uns nochmals: Der volkswirtschaftliche Schaden liegt im Laborexperiment des Ökonomen der Uni Zürich bei 30 Prozent des verlorenen Gewinns einer imaginären Firma. Zurück in der Realität ist diese Summe jedoch weitaus höher, denn allein der Imageschaden dieses Unternehmens ist in vielerlei Hinsicht (unter Mitarbeitern, Kunden, Zielgruppen, Partnern und Geldgebern) von nicht zu unterschätzendem „Wert".

Eine These des Beratungsunternehmens, in welchem ich als Coach tätig bin, passt erschreckend auf die von Herrn Fehr gezogenen Schlüsse seines Laborexperiments:

„Wir opfern die Wahrheit im Interesse unseres emotionalen Wohlbefindens, was wiederum mit unserer Kompetenz korreliert!"

Wie real diese These tatsächlich ist?

Mehr dazu im zweiten Teil.

Geschrieben von Franziska Ambacher Kategorie Unternehmensführung

Über den Autor

Anne Schüller

Franziska Ambacher

Business-Coach, Changemanagement-Consultant und Mediatorin

„Mehr bewegen, anstatt bewegt zu werden"

Franziska Ambacher unterstützt Entscheider und die, die es werden wollen, dabei, einen wertegestützten und sozial kompetenten Führungsstil zu etablieren. Als Expertin für Beziehungsarchitektur, als Business-Coach und Changemanagement-Consultant legt Frau Ambacher ihr Hauptaugenmerk auf den systemischen Ansatz (Wechselwirkung zwischen Individuum, Team und Organisation), um ihre Klienten zu ermutigen, für sich selbst und ihr Lebensumfeld Verantwortung zu übernehmen. Des Weiteren bewusste Entscheidungen zu treffen, die Konsequenzen zu bedenken und für die eigenen Entscheidungen und Handlungen einzustehen.

Zentral sind hierbei nicht nur neue Impulse, sondern vor allem auch die gewinnbringenden Veränderungen im Miteinander einer Organisation. Die Beziehungskultur aller Akteure untereinander ist ausschlaggebend, weshalb der, der Leistung fordert, auch Sinn bieten muss.

Ihr persönliches Credo „Mehr bewegen, anstatt bewegt zu werden" entspricht dem aktuellen Bruch konservativer Arbeitsformen, dem Abbau von Hierarchie und dem Umbau hin zu Netzwerken, damit Mitarbeiter verantwortungsbewusst und begeistert an einem Strang ziehen und Innovation zum festen Teil einer herausragenden Unternehmenskultur wird.

Franziska Ambacher
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